und das ist der Kohl! Das ist das letzte Gemüse auf dem Feld, was in der Komi geerntet wird. Der erste Schnee bedeckt den Boden und Kohlköpfe stecken noch im Gemüsebeet, bis sie ganz knackig werden. Sie schmecken dann vorzüglich im Salat oder in der Salzlacke gesäuert, wie die Komi es seit alters her nach einer bestimmten Technologie machen. Darüber könnt ihr in meinem früheren Beitrag lesen (Kohl essen, statt Kohl reden). Diesmal geht es über das Fest der Kohlernte Tschomyr, das ich im Oktober im naheliegenden Gebiet von Syktyvkar besucht habe. «Tschomyr» bedeutet eigentlich aus der Sprache der Komi das Ende der Feldarbeiten und gilt hier als Erntedankfest. Ja, ich verstehe, dass ich ein bisschen spät mit dem Beitarg bin, aber die Eindrücke sind noch ganz frisch und bunt. Also los!
Foto: Ewgenij Kasakow
In der kleinen Dorfsiedlung Womyn im Gebiet Kortkeross ist dieses Fest eine lange Tradition, aber in diesem Jahr waren zum ersten Mal die Touristen dabei, das heiβt, 10 Stadtbewohner, die am Wochenende raus aus ihrer gewohnten Welt fliehen wollten. Für mich war es eine ausgezeichnete Sache, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Ich bin immer bereit neue Eindrücke zu bekommen, besonders, wenn es um Sitten und Bräuche der Region geht.
Früh am Morgen fuhren wir los. Etwa zwei Stunden Fahrt und wir waren an Ort und Stelle. Womyn ist ein kleines Dorf am Ufer der Wytschegda, das etwa 670 Bewohner zählt. Man hat auf uns gewartet, denn das ganze Programm sollte rechtzeitig beginnen und wir hatten noch ein paar Attraktionen vor dem richtigen Feiern. Das waren ein Besuch in der Dorfbeckärei, wo das Brot im russischen Ofen gebacken wird, ein Besuch beim Meister, der viele nützliche Sachen für den Bauernalltag aus Blech macht, und ein Besuch bei der Meisterin in ihrer kleinen Weberei, wo sie ganz tolle Teppichläufer aus alten T-Shirts zaubert.
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Der Meister mit seinem Blecharsenal) hat für uns auch den Tisch gedeckt — Pfannkuchen aus Kohl, gesalzene Gurken, Wareniki mit Kartoffelfüllung, hausgeräucherter Hecht und eine Flasche scharfen Pfefferwodka — im Dorf versteht man was von der Gastfreundlichkeit! Nun den Wodka trinke ich am Morgen nicht))) (wie halt überhaupt), aber zu hausgeräuchertem Hecht konnte ich nicht nein sagen. Der zerging einfach auf der Zunge! Der Meister ist auch ein geschickter Fischer, wie fast alle Männer im Dorf. Auf einem Foto könnt ihr einen Plastikkorb mit Löchern sehen, das ist eine Fischfalle — «Schnauze», so wird sie genannt.
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Von auβen ist die Dorfbäckerei ein altes unansehnliches Gebäude, auch das Innere ist nicht so sehr modernisiert, nur ein paar Maschinen für Teigkneten. Alles andere ist so, wie vor vielen Jahren. Und das Brot! Ja, das Brot ist so knusprig, üppig und fluffig, dass man es einfach auf einen Sitz essen kann, was wir alle sofort gemacht haben. Ein frisch gebackenes Brotlaib wurde von uns barbarisch in Stücke zerrissen und sofort verschluckt (wir haben nicht einmal gefrühstückt). Ich habe später zwei «Brotziegel» für eine Familienmahlzeit gekauft und sie waren noch im Laufe der Woche ganz frisch und weich. So schmeckt mir das Brot in der Stadt seit dieser Zeit nicht so lecker)
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Von der Bäckerei machten wir uns auf den Weg zur Weberin, aber nicht zu Fuβ sondern in einem Pferdegespann. So konnten wir uns ein bisschen im Dorf umsehen. Die Werkstatt war ganz klein. Fast den ganzen Platz nahm der alte Webstuhl aus Holz ein, auf den ist die Meisterin besonders stolz, denn sie hat ihn von seiner Groβmutter geerbt. Die Meisterin arbeitet in ihrer Wekstatt seit dem ersten Tag des Frühlings bis zum letzten Tag des Herbstes, denn der Raum wird nicht geheizt. Und wenn man sich vorstellt, dass es im Sommer im Dorf genug Arbeit gibt, so wundert man sich über den Sommeralltag der Frau. Das Schiffchen gleitet flink und so entstehen einfache Motive, die für die Komi-Webkunst kennzeichnet sind. Solche Teppichläufer sind in der Stadt sehr gefragt, weil sie sehr originell sind und der Wohnung eine nationale Note verleihen. Auβerdem ist der Fuβboden im Winter dadurch nicht sehr kalt.
Als wir von unserer Dorfrundfahrt zurück waren, sahen wir auf dem Platz vor dem Dorfclub dampfende Samovare und Kochkessel.
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Foto: Ihr fragt, wozu liegen Zapfen im Korb? Damit werden die Samoware geheizt. Das gibt dem Tee ein einzigartiges Aroma. In der frischen, kühlen Luft ist der Tee aus dem Samowar ein richtiger Seelenwärmer. Aber es gab auch die anderen Seelenwärmer)) So zum Beispiel, der Sur — ein süβliches und sehr leckeres (muss ich gestehen) Maischengetränk. Als Ausgangsprodukt gebrauchen die Komi Weizen oder Roggen, dann ist der Sur besonders berauschend. Ansonsten kann das Alkoholgehalt bis zu 10 % betragen. Also, die beste Laune wurde auf dem Fest angesagt.
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Der Sur wurde einfach so aus einer groβen Flasche eingeschänkt. Die Form der Flasche ist allen Russen aus der sowjetischen Zeit bekannt. Darin wurde der Samogon aufbewahrt. Die Flasche stand auf dem Tisch, und jeder, der durstig war und eine rote Nase vor Kälte bekommen hatte, konnte ihn probieren und weiter laufen. Der Sur wird im industiellen Umfang nicht hergestellt, so kann man ihn nur im Privathaushalt probieren oder zu ganz besonderen festlichen Anlässen. Ich muss sagen, ich war ein Stammgast an diesem Tischchen))) Davon zeugt auch ein gemeinsames Foto mit einer sehr netten Frau.
Das Foto: Ewgenij Kasakow.
Wie man sagt «Krieg ist Krieg und das Mittagessen muss rechtzeitig kommen»))) Also wurden wir zu einer schlichten Mahlzeit eingeladen. Auf dem Foto sieht man, woraus sie bestand. Ucha (die Fischsuppe aus Hecht) wurde im Eimer auf dem Feuer gekocht. Kartoffeln wurden im Schmortopf im russischen Ofen gebacken. Dazu gab es noch frischen Kohlsalat, hausgesalzene Gurken (die waren besonders köstlich) und süβe Moltebeeren — eine wahre Delikatesse!
Nach dem Essen begann die Feier! In Kesseln brodelte das Wasser mit Kohl.
Auf der Bühne wurde getanzt, gesungen und gescherzt.
Und danach wurden Reigen geführt und auf eine spielerische Weise wählte man Mannschaften aus Zuschauern. Wozu? Für eine «Kohlschlacht»!
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Foto rechts unten: Ewgenij Kasakow.
Jeder hat ein Instrument bekommen und das andere nötige Zubehör. Ich war auch keine Ausnahme). Auf dem Foto seht ihr die Instrumente, mit welchen Kohl ganz fein zerhackt wird, in erster Linie für Einsäuern.
Die Schlacht begann. Die Kohlköpfe wurden zu einem Salat hingerichtet))). Ich war sehr eifrig dabei.
Auf der Slideshow könnt ihr die Kleinigkeiten sehen.
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Während die einigen frischen Kohlsalat zubereiteten, sorgten die anderen für eine warme Kohlmahlzeit. Den Kohl «löffelte» man aus den Kesseln und servierte mit Pflanzenöl, Dill und Petersilie auf dem Plastiktellerchen.
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Auch für die fleiβige Fotografin wurde etwas abgefallen (bin ich richtig mit dem Ausdruck?)). Und es hat himmlisch geschmeckt!
Auf dem Fest drehte sich alles um den Kohl — eine richtige Kohlästhetik!
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Von viel Luft, Essen und Sur wurden wir, die Touristen, total begeistert. Aber das war nicht das Ende! Wir wurden in den Club zu einem Konzert eingeladen. Und die ganze Schar von angeheiterten Zuschauern strömte in den Club. Die Tische im Vorraum bogen sich unter den Produkten der hiesigen Farmer (wie sie in Russland genannt werden). Milch frisch von Kuh, Quark, Käse, Trinksahne, Butter — alles wurde in wenigen Minuten von uns gekauft. Der Preis überraschte — fast doppelt so wenig wie in der Stadt. Und für Bio-Produkte aus der Landwirtschaft wird in der Stadt ein Heidengeld gezahlt. So habe ich Käse, Quark und Trinksahne gekauft. An demselben Abend blieb davon zu Hause nichts übrig. Meine Männer haben tüchtig genascht). Ich habe mir die Trinksahne unter den Nagel gerissen))). Es war ein Hochgenuss, von Zeit zu Zeit die leckere Flüβigkeit aus dem Fläschchen einfach so zu schlürfen. Vergeblich suchte ich später in Bioläden den ähnlichen Geschmack.
Foto: Milch kaufbereit.
Der Zuschauerraum des Clubs war voll und das Konzert war super! Obwohl es meistens auf Komi gesprochen und gesungen wurde, war das russischsprachige Publikum sehr dankbar.
Auf der Rückfahrt habe ich mir ernst überlegt, wir schön es wäre, im Dorf zu leben — frische Luft, Natur, Bio-Produkte und offene Menschen. Aber ehrlich gesagt, kostet diese Idylle auch manchem arbeitsamen Menschen viel Kräfte. Im Dorf gibt es heutzutage sehr wenig Arbeitsplätze und die Löhne sind niedrig. Ohne einen Bauernhof mit Nutztieren und Gemüsebeeten wäre das Leben im Dorf noch schwieriger. So haben fast alle einen kleinen Bauernhaushalt und haben dadurch noch etwas mehr zu essen. Umso mehr wundert man sich, wie diese Menschen feiern können! Ohne Umstände, in bescheidenen Volkstrachten freuen sie sich auf jede Gelegenheit, den monotonen, schweren Alltag bunt zu machen und die anderen mit ihrer Glückseligkeit anzustecken.
Die Lapti aus Kohlblättern (eigentlich russische Schuhe aus Bast oder Birkenrinde) sind für mich auf diesem Fest das Symbol der russischen Lebensfreude und Aufgewecktheit.
Aus Komi mit Liebe!